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Sonny
20.09.03, 09:57
im Zusammenhang mit TCPA, dem MS-Monopol und dem Kopierschutz von CDs finde ich den Text schon bemerkenswert.

Richard Forno 20.09.2003

Ein Nachruf auf das Informationszeitalter

Dostojewski schrieb einst: "Am Ende werden sie uns ihre Freiheit zu Füßen legen und zu uns sagen 'Macht uns zu euren Sklaven, aber füttert uns'". Seine Prophezeiung ist grundlegend, wenn wir das moderne Informationszeitalter betrachten - eine dunkle, von Konzernen kontrollierte Gesellschaft, die bereits von künstlerischen Legenden wie Bruce Sterling, George Lucas, Ridley Scott und William Gibson vorhergesagt wurde. Diese Gesellschaft soll das Thema dieses Artikels sein.

Wir wollen Teil dieser Informationslandschaft sein und fühlen uns mächtiger mit jeder neuen Anwendung, jedem neuen Dienst oder jeder neuen digitalen Verbindung in unserem Leben. Das Konzept "Information ist überall" gewährt uns sofortige Befriedigung unserer Wünsche nach Büchern, Musik, Pornographie oder nach dem (digitalen) Kontakt mit anderen durch Suchmaschinen, E-Commerce, Hotspots, Instant Messaging, Email und gestreamten Inhalten über Breitbandverbindungen. Hochgeschwindigkeitsverbindungen ermöglichen es Firmen, mit Lichtgeschwindigkeit weltweit tätig zu werden, rund um die Uhr. Die Sonne geht niemals unter im Informationszeitalter; wir sind stets an die globale Matrix der Informationszentralen angeschlossen. Wir sind süchtig danach und werden permanent von elektronischen Stimuli überflutet.

Und je mehr wir uns beeilen, den letzten Schrei an technischem Gerät oder Hightech-Diensten zu erwerben und unsere Gier nach Technologie zu stillen, um so mehr machen wir uns abhängig von diesen Produkten und ihren Herstellern - so abhängig, dass, wenn einmal etwas nicht funktioniert, abstürzt oder angegriffen wird, wir selbst nicht mehr richtig oder überhaupt nicht mehr funktionieren.

Wenn wir an die Häufigkeit des Auftretens von Problemen im Informationszeitalter denken - unterbrochene Internetverbindungen, defekte PDAs, bösartige Softwareausfälle oder das immer wiederkehrende Leid bei Problemen mit der Software oder Hardware, dann sollten wir uns eine Minute Zeit nehmen, um zu überlegen, ob wir tatsächlich so mehr oder weniger unabhängig sind - oder die Kontrolle haben -, wie wir dies glauben; wo wir doch wissen, dass wir uns in solch stressigen Problemzeiten ähnlich verhalten wie ein Heroin-Junkie auf Entzug.

Technologie macht, genau wie Glücksspiel und Heroin, süchtig. Wir werden verleitet oder gezwungen, neue Geräte zu erwerben und dauernd unseren Technikpark aus Dutzenden von Gründen aufzurüsten, sei der Bedarf nun real oder nur empfunden. Und immer fühlen wir uns unwohl mit dem letzten "Fix".

Freiwillig ins Gefängnis?

Die großen Firmen lieben das, weil die Abhängigkeit entsteht, sobald wir einmal begonnen haben, ihre Produkte oder Dienste zu nutzen. Sie verleiben sich unsere Informationen ein - und irgendwann die Gesellschaft und uns selbst. Ihr geheimgehaltener Schlüssel zu unser aller Informationen bedeutet aber auch, dass sie uns zwingen können, Geld auszugeben, um nach ihren Vorgaben die Software oder Hardware nicht erst dann aktualisieren zu müssen, wenn es wirklich nötig wäre oder wir es uns leisten können. Dabei ist es gleichgültig, ob wir die letzten Neuerungen überhaupt benötigen und welche Konsequenzen später daraus folgen könnten.

Anders als bei vielen anderen Industriezweigen des Industriezeitalters und anders als bei Heroin-Dealern, haben es die Hightech Firmen in ihrer Hand, uns Süchtige zur Geldausgabe zu zwingen. Dabei geben wir unsere Rechte auf Wiedergutmachung für Schäden auf, die sich wegen der fehlerhaften Produkte dieser Firmen ergeben, gleichviel welches Leid wir während der Zeit der Versklavung und Sucht nach ihren problematischen Produkten erleiden müssen. In einigen Fällen, speziell bei den weitverbreiteten Betriebssystemen, Programmen und Internet basierten Diensten, kommt das fast einer Erpressung gleich. Wir alle können nicht so ohne weiteres auf einen "Entzug" einlassen, obwohl manche es versuchen und tatsächlich schaffen könnten.

Um die Sache noch zu verschlimmern, haben die Regierungen die Aufsicht und die Regulierung von elektronischer Kommunikation und Interaktion an profitorientierte Firmen und geheime Industriekartelle abgegeben (z.B. die MPAA, RIAA, SIA, BSA, ICANN). Diese verschwendeten keine Zeit und haben die Regeln für unsere Information basierte Gesellschaft neu geschrieben - orientiert an ihren Interessen, nicht unseren. Man könnte gar so weit gehen zu sagen, dass wir uns freiwillig in ein Gefängnis begeben haben, bewacht von profitsuchenden Aufsehern, die kaum (wenn überhaupt) eine realistische Vorstellung haben und auch nicht die Verantwortung für ihre Aktivitäten übernehmen. Unsere Hightech-Heroin-Dealer bewerben ihre Produkte nicht nur und leben von ihnen, sie entwickeln sogar die Gesetze und Regulierungen für deren Benutzung. Dabei achten sie darauf, dass sie selbst von jeglichen negativen Nebeneffekten verschont und ihr Gewinnfluss gesichert bleiben.


Ob wir nun verfügbare Kreativprodukte gemäß der Gesetze teilen wollen, kreative Neuschöpfungen auf den Markt bringen, eine Identität im Cyberspace etablieren oder sonstwie digitale Informationen austauschen wollen: Diese Industriegruppen haben sich - mit gut gesponserter (sprich: gekaufter) Zustimmung der Regierungen - zu den Herren über die industriespezifischen Lehensgüter erklärt, die das Informationszeitalter ausmachen.

Die Kontrolle über die Technologien haben Wirtschaft und Staat übernommen

Die Industrie und die Hersteller wollen ihre eigene, geschützte technische und gesetzliche Autorität darüber, wer wann, wie, was und unter welchen Umständen mit ihren Produkten oder Diensten macht, selbst wenn ihre Gewinnabsichten mit unseren gesetzestreuen Absichten unvereinbar sind. Und wenn ihre Bemühungen fehlschlagen, Recht und Ordnung für ihre geschützten technischen Standards oder legalen Gaunereien aufrecht zu erhalten, können sie die Sache immer noch den Regierungen zurück geben, damit diese in Aktion treten.

Diese Pervertierung des Profits, kombiniert mit dem wankelmütigen, oftmals ignoranten Wesen unserer gewählten Gesetzgeber, hat ein Informationszeitalter entstehen lassen, in dem die Rechte und Möglichkeiten des Individuums nicht zählen, genauso wenig wie die mögliche Evolution der Gesellschaft durch das Zugeständnis, die vorhandenen technischen Möglichkeiten maximal auszunutzen. Und die Realität ist auch egal. Was heute zählt ist nur noch, wie viel Geld und Freiheit die Menschen - freiwillig oder gezwungen - für die Herren und Meister der Firmen ausgeben (oder ihnen opfern), damit diese ihnen ein Lehen auf ihren Informations-Landgütern gewähren, das für die Erlangung von Einkünften notwendig ist.

An das Informationszeitalter wird man sich nicht wegen der spaßigen, hoch fliegenden und Hochgefühle erzeugenden Dot-Com-Tage erinnern, obwohl die Technologien der Dot-Com-Zeit immer noch vorhanden sind. Vielmehr wird das Informationszeitalter als die Periode in Erinnerung bleiben, in der 12-jährige Mädchen aus den New Yorker Slums, Senioren und erfinderische College-Studenten von habgierigen Kartellen drangsaliert wurden, um zukünftige Kunden durch die Verbreitung von Angst zu unterwerfen.

Es wird die Erinnerung bleiben an den Einfluss der Profitgier der Hersteller von Hightech auf die Geschäfte ihrer Kunden und die Organisation und Interaktion der Menschen; die Erinnerung an die Zeit, in der jeder ein potentiell Krimineller war, bis zum Beweis der Unschuld nach den erdrückenden Kriterien der Industrie; die Erinnerung an die Zeit, in der eine wunderbare Revolution in der globalen Kommunikation zu einer Klärgrube von unerwünschten und offensiven Marketingsprüchen verkam; die Erinnerung an den Moment, als das Wissen darum, wie man etwas Illegales macht, genauso illegal wurde, wie dieses Illegale tatsächlich zu tun; die Erinnerung an das Märchen vom gesetzlichen Schutz der Freiheit der Rede, der dem Schutz der Geschäftsgeheimnisse und Marktanteile weichen musste, um Sicherheitslücken zu verstecken, die die Öffentlichkeit gefährdeten; die Erinnerung an die Totalüberwachung und -analyse unseres Lebens durch Marketingfirmen, die nach den optimalen Wegen suchten, uns Dinge zu verkaufen, die wir weder brauchten noch wollten; und schließlich die Erinnerung an die Versprechen und Verlockungen der Technologie und ihrer Möglichkeiten, die dazu verwandt wurden, den Mitgliedern des Informationszeitalters heimliche Fallen zu stellen und sie absichtlich einzusperren, statt ihnen wirklich die Kontrolle über die Technologie in die Hand zu geben.

Dostojewski war seiner Zeit voraus.

Richard Forno ist Sicherheitsspezialist und Autor von "Weapons of Mass Delusion: America's Real National Emergency." Das englischsprachige Original dieses Artikels findet sich auf seiner Homepage Infowarrior. Der Artikel wurde von Twiester (Bettina Jodda) und Jürgen Buchmüller übersetzt.

Schönen Tag noch

HangLoose
20.09.03, 11:06
moin moin

der mann hat, meiner meinung nach, absolut recht. allerdings vergißt er den *gegenpol* zu erwähnen => open source, free software etc.


Gruß HL

Sonny
21.09.03, 09:24
Original geschrieben von HangLoose
moin moin

der mann hat, meiner meinung nach, absolut recht. allerdings vergißt er den *gegenpol* zu erwähnen => open source, free software etc.


Gruß HL
Ja, welche allerdings mit neuen Gesetzen bekämft wird.