Doh!
18.03.04, 15:01
Um den anderen Thread über Linux - Windows User nicht zu zerstören, migriere ich mal die interessante Diskussion auf einen neuen Thread. Die Entstehung ist hier nachzulesen:
http://www.linuxforen.de/forums/showthread.php?s=&threadid=128361
Und nun geht's hier weiter:
@holgerw
Ähnlich wie Du - und anders wie es sich hier vielleicht darstellt - halte auch ich Ideologie und Pragmatismus nicht für unvereinbar - im Gegenteil, Ideologien sind immer ein probates Mittel für Pragmatiker.
Wenn ich beispielsweise ein Volk regieren will, so kann ich das auf rein pragmatische Weise tun ("Pragmatismus" im Sinne wie Du ihn definierst - ohne Ideologie): ich erlasse passende Gesetze, die es mir bzw. dem Staat erlauben, das Volk zu regieren. Dabei benutze ich Gesetze, die sich aus den allgemeinen Notwendigkeiten ergeben (also z.B. dass man sich darauf einigt, auf welcher Straßenseite man fährt, welche Insttitutionen für was zuständig sind und welchen Regeln für bestimmte zivile Verhältnisse (Verträge usw.) gelten sollen. All dies ist rein pragmatisch geprägt.
Nun müssen aber weitere Regeln hinzukommen, die - so würdest Du sagen - nicht mehr pragmatisch sind, sondern Ideologisch geprägt. Dazu gehören z.B. fast alle Verfassungsartikel und das gesamte StGB. Denn "schlechte" taten müssen geahndet werden.
Allerdings halte ich genau das - und jetzt kommt meine Ansicht der Ideologie-Pragmatismus-Beziehung - ebenfalls für pragmatisch. Denn es ist für mich und meine Lebensqualität (bzw. mein Überleben) sehr pragmatisch, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der ich nicht ständig Angst haben muss, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Es ist für mich sehr pragmatisch, dass der Staat durch die Verfassung kontrolliert wird, so dass ich keine Repressalien von ihm erfahren muss. Alles in allem sind also auch eben jene Regeln, die man auf den ersten Blick als unpragmatisch und eher ideologisch einstufen würde, ebenfalls pragmatisch.
Jedem halbwegs intelligenten Menschen muss klar sein, dass man nicht morden kann, dass eine Zivilgesellschaft feste Regeln braucht. Wenn man aber täglich U-Bahn fährt, dämmert einem schnell, dass es so viele halbwegs intelligenten Menschen gar nicht gibt. Diese Menschen können aus sich selbst heraus nicht erkennen, dass eine Zivilgesellschaft nur dann funktioniert, wenn man sich nicht gegenseitig den Schädel einschlägt.
Und genau hier greift die Ideologie (früher Religion, später Liberalismus, dann wieder Kommunismus usw.). Diese Ideologien geben Menschen, die das nicht verstehen, genau jenes Gerüst an die Hand, um eine Zivilgesellschaft im Lot zu halten. Ideologien geben Regeln vor, die der einzelne nicht verstehen muss, er muss sich nur daran halten. Jemand, der sich an etwas halten soll, dass er nicht versteht, muss glauben (bzw. man muss ihn zu diesem Glauben erziehen).
Daher kommen ja auch Religionen. Und wo die Religionen nicht mehr Staatstragend sind, da werden eben andere Bräuche eingeführt, wie der Schwur auf die Verfasssung (sehr schön bei allen Beamten zu sehen), die Erziehung oder in Diktaturen eben der Zwang durch Unterdrückung.
Das größte Problem demokratischer Regierungen ist ja auch, dass hier die Notwendigkeit zur Einsicht und zum Verständnis für das System der Bürger am größten sein muss, da oftmals keine Religion oder keine sonstige Ideologie mehr als Krücke herhalten kann. Oft ist gerade in solch offenen Gesellschaften die Vielfalt an Ideologiesuchenden und Anbietern so groß (interessantes Feld übrigens) wie nirgends anders.
Der Nachteil an Ideologien ist aber, dass diese um auf Menschen wirken zu können, Absolutheitsansprüche vorweisen müssen, sonst klappt das mit dem Glauben nicht so ganz. Das wird besonders gefährlich, wenn zwei konträre Ideologien aufeinanderstoßen. Ideologien können - sobald fundamentalistisch betrieben zum reinen Selbstzweck werden (was wir überall auf der Welt beobachten können) oder aber schon von beginn an in sich extrem gefährlich sein (Nationalsozialismus). Genau deswegen stehe ich Ideologien so skeptisch gegenüber.
Gandhi, Jesus, Budda und all die anderen Ideologen waren wohl in Wirklichkeit Pragmatiker, denn vor allem Pragmatiker können Ideologien weiterentwickeln oder gar begründen. Pragmatiker können (und genau das tue ich!) nach Ideologien leben (Gandhi ist zum Beispiel eines meiner größten Vorbilder), aber anders als Ideologiejünger, die jedes Detail der Ideologie heiligen, sind diese Pragmatiker immer kritisch auch und gerade gegen ihre eigene Ideologie. Und wenn sie eine Schwäche in ihr entdecken, so handeln sie und beharren nicht stur auf dieser!
Das steckt hinter dem Satz: "Radikaler Pragmatismus erhält uns alle am Leben - Ideologien haben bereits Millionen Menschen das Leben gekostet."
http://www.linuxforen.de/forums/showthread.php?s=&threadid=128361
Und nun geht's hier weiter:
@holgerw
Ähnlich wie Du - und anders wie es sich hier vielleicht darstellt - halte auch ich Ideologie und Pragmatismus nicht für unvereinbar - im Gegenteil, Ideologien sind immer ein probates Mittel für Pragmatiker.
Wenn ich beispielsweise ein Volk regieren will, so kann ich das auf rein pragmatische Weise tun ("Pragmatismus" im Sinne wie Du ihn definierst - ohne Ideologie): ich erlasse passende Gesetze, die es mir bzw. dem Staat erlauben, das Volk zu regieren. Dabei benutze ich Gesetze, die sich aus den allgemeinen Notwendigkeiten ergeben (also z.B. dass man sich darauf einigt, auf welcher Straßenseite man fährt, welche Insttitutionen für was zuständig sind und welchen Regeln für bestimmte zivile Verhältnisse (Verträge usw.) gelten sollen. All dies ist rein pragmatisch geprägt.
Nun müssen aber weitere Regeln hinzukommen, die - so würdest Du sagen - nicht mehr pragmatisch sind, sondern Ideologisch geprägt. Dazu gehören z.B. fast alle Verfassungsartikel und das gesamte StGB. Denn "schlechte" taten müssen geahndet werden.
Allerdings halte ich genau das - und jetzt kommt meine Ansicht der Ideologie-Pragmatismus-Beziehung - ebenfalls für pragmatisch. Denn es ist für mich und meine Lebensqualität (bzw. mein Überleben) sehr pragmatisch, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der ich nicht ständig Angst haben muss, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Es ist für mich sehr pragmatisch, dass der Staat durch die Verfassung kontrolliert wird, so dass ich keine Repressalien von ihm erfahren muss. Alles in allem sind also auch eben jene Regeln, die man auf den ersten Blick als unpragmatisch und eher ideologisch einstufen würde, ebenfalls pragmatisch.
Jedem halbwegs intelligenten Menschen muss klar sein, dass man nicht morden kann, dass eine Zivilgesellschaft feste Regeln braucht. Wenn man aber täglich U-Bahn fährt, dämmert einem schnell, dass es so viele halbwegs intelligenten Menschen gar nicht gibt. Diese Menschen können aus sich selbst heraus nicht erkennen, dass eine Zivilgesellschaft nur dann funktioniert, wenn man sich nicht gegenseitig den Schädel einschlägt.
Und genau hier greift die Ideologie (früher Religion, später Liberalismus, dann wieder Kommunismus usw.). Diese Ideologien geben Menschen, die das nicht verstehen, genau jenes Gerüst an die Hand, um eine Zivilgesellschaft im Lot zu halten. Ideologien geben Regeln vor, die der einzelne nicht verstehen muss, er muss sich nur daran halten. Jemand, der sich an etwas halten soll, dass er nicht versteht, muss glauben (bzw. man muss ihn zu diesem Glauben erziehen).
Daher kommen ja auch Religionen. Und wo die Religionen nicht mehr Staatstragend sind, da werden eben andere Bräuche eingeführt, wie der Schwur auf die Verfasssung (sehr schön bei allen Beamten zu sehen), die Erziehung oder in Diktaturen eben der Zwang durch Unterdrückung.
Das größte Problem demokratischer Regierungen ist ja auch, dass hier die Notwendigkeit zur Einsicht und zum Verständnis für das System der Bürger am größten sein muss, da oftmals keine Religion oder keine sonstige Ideologie mehr als Krücke herhalten kann. Oft ist gerade in solch offenen Gesellschaften die Vielfalt an Ideologiesuchenden und Anbietern so groß (interessantes Feld übrigens) wie nirgends anders.
Der Nachteil an Ideologien ist aber, dass diese um auf Menschen wirken zu können, Absolutheitsansprüche vorweisen müssen, sonst klappt das mit dem Glauben nicht so ganz. Das wird besonders gefährlich, wenn zwei konträre Ideologien aufeinanderstoßen. Ideologien können - sobald fundamentalistisch betrieben zum reinen Selbstzweck werden (was wir überall auf der Welt beobachten können) oder aber schon von beginn an in sich extrem gefährlich sein (Nationalsozialismus). Genau deswegen stehe ich Ideologien so skeptisch gegenüber.
Gandhi, Jesus, Budda und all die anderen Ideologen waren wohl in Wirklichkeit Pragmatiker, denn vor allem Pragmatiker können Ideologien weiterentwickeln oder gar begründen. Pragmatiker können (und genau das tue ich!) nach Ideologien leben (Gandhi ist zum Beispiel eines meiner größten Vorbilder), aber anders als Ideologiejünger, die jedes Detail der Ideologie heiligen, sind diese Pragmatiker immer kritisch auch und gerade gegen ihre eigene Ideologie. Und wenn sie eine Schwäche in ihr entdecken, so handeln sie und beharren nicht stur auf dieser!
Das steckt hinter dem Satz: "Radikaler Pragmatismus erhält uns alle am Leben - Ideologien haben bereits Millionen Menschen das Leben gekostet."