Philipp Busch: Herr Brüderle, Sie sind sehr, sehr lange Begleiter der Republik und auf politischer Eebene immer in Wirtschaftsfragen auch Begleiter gewesen. Hat sich Ihrer Meinung nach das in irgendeiner Form verändert? War es früher angenehmer oder einfacher?
Rainer Brüderle: Es hat sich gravierend verändert. ..., dass wir durch Digitalisierung, durch Globalisierung, Europäisierung veränderte, wenn man so will, Gefechtsordnungen haben. Es hat sich was in den Konstellationen verändert. Es hat sich in den Verhaltensweisen was verändert. ... Die Parlamente sind auch deutlich geschwächt in bestimmten Konstellationen, vieles können wir national auch nicht mehr regeln. Das ist schon eine Umbruchphase. Wir sind unterwegs zu neuen Strukturen, die wir zum Teil nicht kennen. ... Es hat sich beim Wechsel von Bonn nach Berlin auch was verändert. Ich bin in Berlin sehr vorsichtig geworden. Da gab's nur wenige Journalisten, mit denen ich offen gesprochen habe, weil Sie immer damit rechnen mussten, dass was zusammengedichtet wird, was anders gemacht wird. Am schlimmsten war's, am Wochenende kam ein Anruf von einem Journalisten, dpa-Aussenstelle Regensburg, ich wusste genau er sucht was, was er hochkitzeln kann, damit er sich bekannt macht oder vorankommt. ... Das war natürlich kein Zufall. Wenn solche Dinge passieren, ist man vorsichtiger als Politiker im Umgang mit anderen.
Philipp Busch: Aber haben Sie so ein Durchstechen bei der Wirtschaft mal erlebt.
Rainer Brüderle: Natürlich, BDI war ja Wirtschaft, waren keine Journalisten dabei.
Philipp Busch: Ok.
Rainer Brüderle: Vom Präsidium BDI, also hochkarätige Spitzen der deutschen Wirtschaft.
Philipp Busch: Haben sich da die Sitten verroht?
Rainer Brüderle: Ja. Sie haben sich verroht. Sie haben sich verändert und es wird auch zunehmend das Instrument benutzt, Meinungen und Auffassungen in den Medien zu plazieren als Instrument der Entscheidungsfindung in der Politik und ich würde sagen bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Das ist ein Stück Verwilderung der Sitten. ... Ja man spricht sehr oft miteinander. Aber es wird ja nicht ehrlich in vielen Bereichen miteinander geredet. Sie können es auch nicht, weil sie damit rechnen müssen, das geht schief. Ich darf nur aus unserer gemeinsamen Zeit berichten, wir hatten Koaltitionsausschuss. ... Ich war noch nicht in meinem Dienstwagen unten, da liefen, ich habe auf meinem Handy dpa abonniert, wörtliche Zitate aus der Koalitionsrunde. Auch dort können Sie nicht mehr offen reden. Sie können praktisch nur noch Vier-Augen-Gespräche machen. ... Es gibt kaum eine Vertrauenssphäre, die sie auch zwischen den Parteien brauchen. Es wird instrumentalisiert, und wenn's nicht passt, wird was erfunden und plaziert. Wir haben leider eine Verwilderung von Sitten in vielen Bereichen. Deshalb ist so eine Werte-Diskussion wichtig.
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