Scarpinato sagt, in Deutschland erliege man dem Irrtum, bei der Mafia handle es sich um primitive Menschen, die Pizzabuden eröffnen. Dabei seien es vor allem studierte Leute, die bei der Mafia die Fäden ziehen. "Die würden sich niemals die Finger schmutzig machen. Das sind Advokaten, Ärzte, Architekte." Scarpinato nennt sie die "Hirne der Mafia", die "Weißkragen". Die Drecksarbeit übernehmen andere:"Arbeiter aus der Unterschicht, die Befehle ausführen."
Drogenhandel und Prostitution seien die primären Geschäftsfelder der Mafia, aber auch die illegale Entsorgung von Giftmüll, erklärt Scarpinato. In Deutschland würde die Mafia immer öfter in legale Unternehmen investieren. Dabei helfen ihnen deutsche Strohmänner, die als Eigentümer in den Geschäftsbüchern auftauchen und dafür gut bezahlt werden. Eine gängige Praxis, die Scarpinato 2008 schon in Italien aufdeckte: Dort beschlagnahmte der Staatsanwalt fünf Milliarden Euro Mafiavermögen in einem Unternehmen, das mit Solarpanelen handelte. Der Konzern war börsennotiert und agierte weltweit.
Aktuelle Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) belegen die Ausführungen des italienischen Staatsanwaltes. Die Zahl der Verfahren wegen organisierter Kriminalität in Deutschland stieg im vergangenen Jahr um 4,7 Prozent. "Bei 85 Prozent der Fälle hat es internationale Verbindungen gegeben", sagte BKA-Vizepräsident Jürgen Stock diese Woche auf einem Symposium seiner Behörde. Am häufigsten finde sich organisierte Kriminalität bei Rauschgift- und Eigentumsdelikten. Dabei gewinne die verschlüsselte Kommunikation bei der Mafia zunehmend an Bedeutung, sagt BKA-Vize Stock. Seine Forderung: Die Mindestspeicherfristen für Daten aus der Telekommunikation müssen wieder eingeführt werden.
Während das BKA diese Maßnahme zur Bekämpfung der Mafia reichen würde, geht Roberto Scarpinato bei seinem Besuch in Hamburg noch einen Schritt weiter: Nach italienischem Vorbild, müsse auch in Deutschland allein die Zugehörigkeit zur Mafia strafbar sein. Bei seiner Arbeit als Staatsanwalt in Palermo habe ihm zudem die Überwachung von Wohnraum sehr geholfen. „Die Überwachung von privaten Räumen muss in Deutschland ausgeweitet werden, sonst drohen Deutschland Verhältnisse wie in Italien.“, sagt Scarpinato. Auf die Frage, ob Deutschland dann einem Überwachungsstaat gleich komme, antwortet Scarpinato zum Ende seines Vortrages trocken: „Es ist traurig genug, dass in Deutschland die Angst vor dem Staat größer ist, als vor der Mafia.“
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