Und schließlich, drittens, die Kopenhagener Schule, die
zunächst eine sprechakttheoretische Fundierung des Sicherheitsbegriffs vornimmt. Die
Denkrichtungen setzen von ihrem Erkenntnisinteresse sowie ihrer methodischen
Ausrichtung unterschiedliche Schwerpunkte. Die Autoren teilen jedoch Überlegungen der
sozialen Konstruktion von (Un-)Sicherheitswahrnehmung, d.h. die Zurückweisung eines
objektivistischen Verständnisses von Sicherheit (Huysmans 1995: 66; Waever/Buzan et
al. 1993: 189). Alle Denkrichtungen teilen eine gewisse kritische Perspektive auf Sicherheitsfragen.
...
Das Konzept der Versicherheitlichung – im englischen „Securitization“ – wurde 1998
von den Autoren der so genannten Kopenhagener Schule, Barry Buzan, Ole Waever und
Jaap de Wilde, in dem Buch „Security. A New Framework for Analysis“ entwickelt. Der
Grundgedanke ist im Wesentlichen der, dass Sprechen keine wirkungslose Tätigkeit ist.7
Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Das Aussprechen oder Benennen von Dingen oder
Entwicklungen kann „die Realität“ – ähnlich wie Handeln – verändern: „By saying the
words, something is done (like betting, giving a promise, naming a ship)“ (Buzan/Waever
et al. 1998: 26). Das Konzept legt somit einen besonderen Fokus darauf – und hierin lag zum damaligen
Zeitpunkt auch der innovative Charakter des Konzepts –, dass gesellschaftliche
(Un-)Sicherheit das Ergebnis eines gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Aus-
handlungsprozesses ist. Von besonderem Interesse ist das, was verschiedene Sprecher –
beispielsweise Politiker, Sicherheitsbehörden etc. – als Sicherheitsbedrohung perzipieren
und artikulieren, sowie ob dies von einem relevanten Publikum – beispielsweise der
Bevölkerung oder dem Bundestag – akzeptiert und damit geteilt wird. Den Überlegungen
der Kopenhagener Autoren folgend sind folgende Elemente für den Aushandlungsprozess
der Versicherheitlichung zentral (siehe auch Abbildung 1).
Ausgangspunkt ist zunächst ein versicherheitlichender Akteur (securitizing actor). Es
muss sich nicht um einen staatlichen Akteur handeln, auch nicht-staatliche Akteure
können versuchen, durch einen Sprechakt – die Artikulation der wahrgenommenen
Sicherheitsbedrohung – ein Thema zu versicherheitlichen. Die Autoren betonen jedoch,
dass nicht beliebige Personen die Rolle des versicherheitlichenden Akteurs einnehmen
können. Neben dem Akteur der Versicherheitlichung existieren so genannte funktionale
Akteure. Diesen ist es möglich, auf den Erfolg eines Sprechaktes, den ein versicher-
heitlichender Akteur tätigt, Einfluss zu nehmen. Als funktionale Akteure kommen
Lobbygruppen, die in dem relevanten Sektor aktiv sind, Institutionen wie Print- oder TV-
Medien sowie internationale Nichtregierungsorganisationen in Frage (Buzan/Waever et
al. 1998: 36).
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Um das Fortbestehen des referentiellen Objektes zu gewährleisten, fordert der Akteur
außerordentliche Maßnahmen (extraordinary measures). Diese sollen der existenziellen
Sicherheitsbedrohung Einhalt gebieten. Der versicherheitlichende Akteur macht deutlich,
dass er eine Option, die darin besteht, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und der
existenziellen Bedrohung aktiv zu begegnen – die Autoren sprechen von „priority of
action“ (Buzan/Waever et al. 1998: 26) –, gegenüber der Alternative „auf Zeit zu spielen“
eindeutig präferiert und für geboten hält.
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Bei diesen Maßnahmen kann es sich je nach Sektor und Ebene des referentiellen Objektes
um politische, rechtliche und militärische Maßnahmen oder eine allgemeine Mobilisier-
ung von Ressourcen in diesen Bereichen handeln. Den Versuch eines Sprechers, via
Artikulation ein Thema zu versicherheitlichen, bezeichnen die Autoren als Akt der
Versicherheitlichung. Eine erfolgreiche Versicherheitlichung besteht dann, wenn das
relevante Publikum die (warhgenommene) existenzielle Sicherheitsbedrohung sowie
entsprechende Sicherheitsmaßnahmen, die der Bedrohung begegnen sollen, akzeptiert,
d.h. wenn die (Un-)Sicherheitswahrnehmung eines Sprechers gesellschaftlich geteilt
wird.
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